Letzte Woche ist ein Kumpel von uns gestorben. Der Mikesch. Ein Bilderbuch eines kätzischen Wanderpokals, der aber dann auf seiner letzten Stelle bleiben durfte. Der Mikesch hatte eine schwere Ataxie und war dadurch ein bisschen undicht hinten. Weil er aber seinen gesicherten Garten so liebte und freien Zugang dazu hatte, war er von Frühjahr bis Herbst fast ununterbrochen draußen. Er schlief dort, spielte dort, beobachtete das Leben um ihn herum und holte sich dort auch letztendlich den sehr dramatischen und tragischen Tod, dessen Einzelheiten wir euch ersparen werden.
Die Mama hatte dann mit der Tanja (der Mama vom Mikesch) telefoniert, die natürlich total traurig war und sich Vorwürfe gemacht hat, dass sie ja eigentlich gar nichts merken konnte aber trotzdem nichts gemerkt hat. Und die Mama hat dann versucht zu trösten und meinte dann: „Naja, wenn Du ihn gefragt hättest, ob er lieber ein kurzes Leben in seinem geliebten Garten mit einem tragischen Ende oder ein langes behütetes Leben im Haus hätte haben wollen, dann weißt Du doch, was er geantwortet hätte.“
Und ich fand das ziemlich faszinierend. Hinterher fragte ich die Mama dann:
„Sag mal, Mama, wie meintest Du das denn vorhin? Ich darf ja jetzt zum Beispiel nicht in den Garten, weil das hier bei uns total gefährlich ist. Ist das Leben vom Mikesch denn dann wertvoller (gewesen) als meins?“
„Naja, Du darfst ja nicht in den Garten, weil wir den nicht sichern können und der uns nicht allein gehört und Du in jedes Nachbarhaus spazieren würdest und so tun würdest, als würde Dir alles gehören. Dafür hast Du ja jetzt auch einen eigenen Katzenbalkon bekommen.“
„Der Balkon ist ja auch voll cool und dass wir jetzt rund um die Uhr da drauf können und auch dass die anderen Fenster den ganzen Tag offenstehen, aber ich würde das auch gern wollen, was die anderen können. Dann könnte ich echte, wahre Freiheit genießen.“
„Ist das denn für Dich Freiheit, wenn Du einfach das tun kannst, was Du willst und wann Du willst?“
„Naja, irgendwie schon, oder?“
„Und von was würdest Du Dich dann ernähren?“
„Naja, wie bisher. Du taust doch unser BARF auf. Nur würde es dann natürlich jeden Tag Hase geben. Weil ja dann das passiert, was ich will.“
„Du kannst Dir aber nicht die ganzen Rosinen rauspicken und das dann als Freiheit deklarieren. Dann habe ich ja die ganze Arbeit und zusätzlich noch die Sorge um Dich und Du hast das ganze Vergnügen.“
„Rosinen dürfen doch gar nicht ins BARF?“
„Ja, ich weiß. Das sagt man eben so. Was ich damit meine ist, dass Deine unbegrenzte Freiheit dann auf Kosten anderer geht. Rosa von Luxemburg hat mal so schön gesagt, dass die Freiheit des einen da aufhört, wo die Freiheit des anderen anfängt. Und das wäre auch nicht fair. Das hat dann nichts mehr mit Freiheit zu tun.“
„Inwiefern?“
„Naja, neben der Tatsache, dass andere sich unter Umständen einschränken müssten, wenn Du immer das tust, was Du gerade willst und kannst, hättest Du ja auch keine Reize mehr. Dann ist Deine Freiheit berechenbar geworden. “
„Naja, aber wenn ich immer alles tue was ich kann und wann ich das tun will, dann ist das doch auch ein tolles Gefühl?“
„Das mag schon richtig sein, aber wie lange hält das Gefühl dann vor? Weil Du ja immer alles dann machst, wann und wenn Du das willst. Dann würdest Du jeden Tag Hasenfleisch bekommen, aber irgendwann würde es Dir zum Hals raushängen.“
„Würde es nicht.“
„Sicher würde es das. Du fängst doch schon an zu nerven, wenn es das dritte Mal in Folge Pute gibt.“
„Naja, Abwechslung habe ich eben auch gerne. Ein bisschen spannend kann es ja ruhig bleiben.“
„Und was macht die Spannung aus? Doch eigentlich, dass Du vorher nicht weißt, was es gibt und das würde es doch nicht mehr geben, wenn Du alles das machst, was Du willst und kannst?“
„Hm, irgendwie schon. Aber sind wir dann nicht schon eher bei Glück und sowas?“
„Natürlich. Das gehört ja irgendwie alles zusammen. Du kannst nicht alles für sich betrachten. Wenn das danach geht, müsste jeder Streuner da draußen den Himmel auf Erden haben. Aber Du hast doch genug Fotos gesehen, wie das aussieht, wenn die krank sind oder Revierkämpfe hatten und verletzt sind. Dann kümmert sich keiner um die und sobald die dann krank sind, wünschen die sich auch Fürsorge. Meist sind das ja genau die Dinge, die man gerade nicht hat oder kann und was einen dann belastet. Aber das kann man eben nur wissen, wenn man das auch anders kennt.“
„Also so, wenn man Aua Bauchi hat und sich dann denkt ‚Ach, würde es doch nur aufhören, weh zu tun‘?“
„Genau, dann wird ja ein unangenehmes Erlebnis dazu führen, dass Du Dir wünschst, dass das aufhört und das dann hinterher auch zu schätzen weißt, wenn es Dir gut geht. Das wäre dann für Dich Glück.“
„Hm, verstehe. Wo wir gerade bei Bauchi sind. Könntest Du mir den nicht ein wenig kraulen?“
„Würde Dich das denn glücklich machen?“
„Ja, schon.“
„Und würdest Du Dich dann frei fühlen?“
„Naja, ich würde darüber nicht nachdenken.“
„Wann würdest Du denn darüber nachdenken?“
„Naja, wenn ich die ‚Freiheit‘ mal nicht habe. Ich würde schon gerne mal da draußen eine von den dicken Tauben fangen. Hasen haben wir ja hier leider nicht.“
„Und dann? Was würdest Du dann mit der Taube machen? Du frisst ja nicht mal die Futtermäuse oder die Wachteln, die ich hier extra für euch bestellt habe. Außerdem möchte die Taube doch auch ihre Freiheit haben.“
„Ich dachte die sind extra nur auf der Welt, dass ich die fressen kann?“
„Wer hat Dir denn sowas erzählt?“
„Na der Linus.“
„Der Linus könnte auch Linus Langstrumpf heißen. Der malt sich die Welt so, wie sie ihm gefällt. Eigentlich hat eine Taube die gleichen Rechte auf der Welt wie Du.“
„Das können wir ja nochmal wannanders näher ausführen. Wie ist das denn jetzt mit der Freiheit?“
„Naja, Du hast doch gesehen, dass der Schwerpunkt eigentlich woanders liegt und man das nicht so schwarzweiß betrachten kann. Ich finde, dass Du doch hier eigentlich ganz zufrieden bist?“
„Ja, schon.“
„Ich möchte Dir ja hier das bestmögliche Umfeld geben und in diesem Umfeld darfst Du alles, was Du möchtest. Du darfst sogar immer auf der Arbeitsplatte neben mir sitzen, wenn ich Dein Futter mache. Und darfst sogar was von dem Fleisch klauen. Woanders würde man Dich hochkant aus der Küche werfen.“
„Ach, quark.“
„Doch. Google mal ‚Katze‘ und ‚Arbeitsplatte‘. Da wirst Du aber genug Einträge finden.“
„VIERUNDNEUNZIGTAUSEND EINTRÄGE?“
„Tja, kannste mal sehen. Woanders dürftest Du nicht mal die Hälfte von dem, was Du hier darfst.“
„Hm, also ist Freiheit ja im Grund abhängig von anderen Sachen. Das ist ja dann eigentlich keine Freiheit mehr, wenn das so abhängig wird?“
„Na eben. Letztendlich ist ja nur entscheidend, was Du kennst und was Du zum glücklich sein brauchst. Den wilden Vogel wirst Du nie in der Wohnung halten können und die Legehenne würde draußen auf Dauer auch nicht klarkommen. Wichtig ist ja, dass die Grundbedürfnisse gedeckt sind und dann ist jedes Plus mehr vielleicht ein Stückchen mehr Glück. Aber auf jeden Fall sind das ganz sicher nicht Erwartung, Forderung oder den dicken Katerkopf mit Gewalt durchsetzen.“
„Ich hab keinen dicken Katerkopf.“
„Hast Du schon. Und das sagt man doch so.“
„Also meine Grundbedürfnisse sind ja schon alle gedeckt. Und dürfen tue ich ja auch ganz schön viel eigentlich. Und unser Umfeld ist ja schon echt klasse mit dem Balkon und den ganzen Liegeplätzen und so.“
„Sag ich doch. Und ich fühle mich auch gut dabei. Das ist ja auch nicht unwichtig. Was nutzt Dir eine immer gestresste und hyperventilierende Dosine, die hier vor Angst umkommt, jedes Mal, wenn Du draußen bist? Respekt, Toleranz und ein gewisses Maß an Zugeständnissen braucht es einfach, damit alle miteinander zufrieden zusammenleben können.“
„Aber ich bin doch ne Katze?“
„Ist doch egal, ob Mensch oder Tier. Alle müssen sich ja irgendwie gut dabei fühlen. Und da Deine individuellen Grundbedürfnisse gedeckt sind, halte ich Dich auch für als in der Wohnung lebenden Kater ganz glücklich und zufrieden.“
„Bin ich ja auch.“
„Na siehste. Also ist Dein Leben doch genauso wertvoll, wie jedes andere.“
„Oder wertvoller. Ich gehe das mal in die Lucy einprügeln.“
„Auch schön. Stell Dich dumm und Du kommst durchs Leben. Wehe. Die Lucy will auch ihre Freiheit.“ *rollt mit den Augen*
„Ach ja.“ *seufzt* “Das ist aber gar nicht so einfach, das mit der Freiheit.“
Und ihr so? Über was redet ihr so mit euren Dosis?
Wieder so schön! Wir lieben euch wirklich.
Wir waren traurig, als wir von Mikesch’s Tod erfahren haben. 🙁
Toller Dialog. Gut, dass ihr das mit der Freiheit und den Bedürfnissen geklärt habt. Unsere Dosies denken da so wie eure Mama. Wir können ja auch nicht raus. Aber die Lebensqualität ist wichtig. Wir sind doch so leicht glücklich zu machen. Einen Karton, ein Dosies der uns lieb und uns gehorcht, was zum jagen, Futter und Nachbesserung und ein weiches Betti, was zu kratzen und ein stilles Örtchen ☺
So tiefschurfende Gespräche haben wir nicht geführt. Habe Mama nur gestern gezeigt, dass ich immer noch gut Wolfsspinnen jagen und im Maul zu ihr bringen kann.
Schnurrer Engel