Als behinderter Kater wurde ich mit einer „Cerebellären Hypoplasie“, also einer angeborenen Unterentwicklung des Kleinhirns bedacht, welche sich in einer Ataxie, einem Kopftremor und zeitweise einem Nystagmus äußert. Wackeln auf der ganzen Linie also. 50 cm Höhe sind schon eine Hürde, die ich nur mit massivem Klettereinsatz überwinden kann.
Ein Großteil meines Lebens findet auf dem Boden statt und ein großer Teil auch im Liegen. Wenn die anderen singen könnten, würden sie den ganzen Tag lang „drah di net um, der Plumpssack geht herum“ herunterdudeln. Und das passiert mir leider sehr häufig. Beim Toilettengang, nach wenigen Schritten, beim Spielen aber mittlerweile nur noch selten beim Fressen oder Trinken. Und damit bin ich ganz oben mit dabei, auf der Ursachenliste für eine Epilepsie.
Als würde mir das Leben nicht schon genug Hürden bieten, darf ich mich zusätzlich zu meiner (mittel)schweren Ataxie mit Anfällen herumplagen. Wir hatten die ganz gut im Griff, aber nach 15 Monaten ohne Anfall hing das Damoklesschwert erneut über mir. Und hat prompt wieder *plumps* gemacht:
Als Einleitung in unsere „Epilepsieseiten“, die wir in den nächsten Wochen hier aufziehen werden, gibt es heute zum Einstieg mal einen Livebericht von Frauchen. Anschliessend geht es weiter mit Hintergründen, Therapien, Alternativen und Tipps & Tricks und ganz viel Mut machen. Ihr kennt das – das was es schon gibt genügt unseren Ansprüchen nicht oder enthält auch falsche Infos, also machen wir was eigenes. Und jetzt kommt der versprochene Livebericht:
Frauchen erzählt:
Eine kalte Dezembernacht. Normalerweise habe ich einen ganz guten Schlaf und schlafe nachts durch. Diese Nacht ist anders. Ich werde wach und mein Blick fällt auf die großen projizierten Digitalzahlen an der Decke. Die Uhr zeigt 05:11. Dann höre ich die typischen Geräusche auf dem Laminatboden und bin blitzschnell im ‚Mama‘-Modus und hellwach. Ein Lebewesen in Not. Jede Sekunde zählt.
Ich springe auf und laufe barfuß ins Wohnzimmer. Ich mache Licht an, obwohl ich weiß, dass Licht nicht förderlich bei einem Anfall ist, aber ich sehe sonst nichts und Zeit ist jetzt wichtig. Mein Blick erfasst die Lage. Er ist wohl aus dem Bettchen gefallen und dann über den klitschnassen Boden 3 Meter in eine Ecke gerutscht. Dort liegt er zappelnd auf dem Boden wie ein Fisch auf dem Trockenen und macht seine typischen delphinartigen Geräusche. Alles ist nass vom Urin. Ich muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche und hinfalle während ich barfuß zu ihm gehe. Ich spreche ihn an und streichle ihm das Köpfchen. Er geht ziemlich zügig von der tonischen Krampfphase mit deutlicher Überstreckung in die klonische Krampfphase über. Die Diazepamlösung kann wohl wieder im Schrank bleiben. Ein Glück, kein Status epilepticus. Davor habe ich am meisten Angst. Er zuckt jetzt rhythmisch, dabei hebt sich auch immer wieder der Kopf wie bei einer Marionette an Fäden und es sieht aus, als ob er wieder ganz da ist, aber ich weiß, dass er noch etwas Zeit brauchen wird, dafür sind die Pupillen zu groß. Diese Phase dauert bei ihm rund 3 Minuten. Ich nutze die Gelegenheit und schnappe mir das Handtuch, das immer bereit liegt und halte die Hälfte unter warmes Wasser und wringe sie aus. Schnell hole ich noch 2 neue Decken aus dem Schrank. Eine Decke lege ich auf einen der vielen trocken gebliebenen Schlafplätze in Bodennähe. Rubble ihm den ganzen Urin mit dem warmen nassen Handtuch sanft aus dem Fell und ihn mit der anderen Hälfte wieder trocken und lege ihn auf die saubere Decke.
Jetzt schnell die Pippi vom Boden wischen, bevor er wieder ganz bei sich ist. Sonst latscht er wieder durch die Pippi, rutscht aus und hat wieder alles im Fell. Das Handtuch muss dran glauben. Küchenrolle und der Enzymreiniger stehen bereit, aber dafür reicht es nicht mehr ganz. Er ist wieder halbwegs klar und kann laufen. Jetzt miaut er ganz laut im Sekundentakt mit seinem kurzen ‚mau‘ ‚mau‘ und läuft mir blindlings hinterher mit seinem staksigen, trampeligen Ataxiegang. Während andere Katzen jetzt vielleicht Koordinationsprobleme haben, ist bei ihm alles auf besonders hohe Erregung programmiert. Ich habe manchmal sogar das Gefühl er läuft besser als vorher.
Der Weg führt in die Küche, weg vom noch nicht ganz gereinigten Fussboden. Jetzt erst mal füttern, er hat riesigen Hunger. Für das Auftauen der Rohfutter-Notfallportionen fehlt mir der Nerv. Das dauert auch wieder ein paar Minuten, deswegen gibt es Dosenfutter. Wo ist denn jetzt wieder der Silikonnapf? Der letzte Anfall war schon über 1 Jahr her, deswegen ist er jetzt irgendwo, wo er nicht sein sollte. Verdammt, keine Zeit. Zeit ist sowieso das größte Thema bei so einem Anfall. Aber jetzt gibt es erst noch eine Tablette Luminaletten. Obwohl es notwendig war, ärgere ich mich ein wenig über mich selbst. Ich hatte nach 15 Monaten ohne Anfall ausgetestet, welche Dosis das Minimum ist und sie offenbar unterschritten. Ganz ohne dieses Zeug geht es also nicht. Einen Anfall wollte ich dennoch gerne vermeiden, schädigt er doch jedes Mal den Körper ein Stückchen mehr.
Er bekommt das Futter daher in ein normales Keramikschüsselchen auf seinen erhöhten Napfständer. Hastig wirft er den Kopf nach vorne und schlägt dabei mit den Zähnen an den Rand. Immer wieder. Ich halte meine Hände um den Napf, dass er mit Zähnen und Kiefer wenigstens auf etwas Weiches schlägt und sein Kopf den Weg in den Napf findet. Als es wieder halbwegs geht, schnappe ich mir die Küchenrolle und die Sprühflasche mit dem Biodor Animal und reinige das Wohnzimmer fertig. Mit dem Handtuch hatte ich vorher nicht alles erwischt. Manchmal ist auch alles in die Höhe gespritzt, weil es eben im Liegen passiert und die Blase krampfartig geleert wird. Ich bin immer noch barfuß und nur im Shirt. Ich rutsche auf Knien auf dem Boden rum, bis meine Nase auch der Überzeugung ist, dass ich alles erwischt habe. Aus der Küche erklingt noch das *klong* wenn er doch wieder mit dem Kiefer an das Schälchen stösst.
Ich gehe mir erstmal noch die Füsse und Knie waschen und ziehe mir eine lange Hose und Socken an. Jetzt kommt noch eine postkonvulsive Phase, die bei uns etwa 30 Minuten dauert. Ich lege alle Bettchen und Decken zurecht, tausche alt gegen neu aus und setze mich auf die Couch, da kommt er auch schon um die Ecke gestakst. Er ist jetzt noch besonders aufmerksamkeitsbedürftig, deswegen hebe ich ihn auf die Couch und streichle ihn bewusst langsam, damit er wieder runterkommt. Aber er springt wieder runter, wobei ich ihn immer leicht am Schwanz festhalte, damit er sicher landet und prompt stakst er wieder rum mit seinem ‚mau‘ ‚mau‘.
Unter uns sind jetzt auch bestimmt alle wach.
Es macht keinen großen Sinn, jetzt noch länger aufzubleiben. Um wieder runterzukommen braucht er jetzt so wenig Reize wie möglich. Den anderen 4 Katzenkumpels war der Anfall recht herzlich egal. Jasper und Lucy sind nicht mal aufgestanden. Linus ist der Neugierde verpflichtet und eh immer dabei, sobald was los ist und Saanti war da, sobald die erste futterrelevante Aktion stattfand. „Büffetfräse“ kommt nicht von ungefähr. Verstört oder verängstigt ist keiner – im Gegenteil – die würden dem ‚Bedürftigen‘ auch noch das Futter klauen, wenn man nicht aufpassen würde.
Ich fülle nochmal die Näpfe auf und gehe ins Bett. Über die „Kittycam“, eine auch von unterwegs erreichbare und steuerbare Webcam, die jede Minute ein Foto aufnimmt, behalte ich nebenbei das Wohnzimmer im Blick. Während ich noch etwas lese, um ebenfalls wieder runterzukommen, bemerke ich beruhigt, dass er sich auf sein Lieblingsbettchen, die Hängematte, gelegt hat. Vielleicht schläft er jetzt schnell ein. Nach 10 Minuten höre ich ihn wie verrückt an der Wolldecke kratzen. Das macht er, wenn er Kot oder Urin am Fell hat und ihn das beim Putzen stört. Über den Nachtmodus kann ich noch recht gut sehen was da gerade passiert. Na gut. Vermutlich habe ich beim saubermachen eine Stelle an ihm übersehen. Er war ja ziemlich durchnässt. Aber damit wird er klarkommen.
Das Kratzen hört nicht auf. Er liegt jetzt auf dem zweitliebsten Schlafplatz. Ich stehe doch lieber nochmal auf und gucke nach. Ich sehe sofort, dass er sein großes Geschäft aufs Bettchen gemacht hat. Ok, da war der Weg zum Klo wohl noch zu weit und er noch nicht ganz beisammen. Ich tausche alles aus. Zum Glück kein Durchfall, also muss ich nicht nochmal den Boden wischen und ihn auch nicht saubermachen. Ich gehe wieder ins Bett und lese weiter. Über die Kittycam sehe ich, wie er wieder auf seine geliebte Hängematte wandert. Neue Unfälle dürften nicht passieren, er ist ja jetzt auch entleert. Er putzt sich jetzt und schläft sicher gleich ein. Das Phenobarbital wird auch nachher wirken.
Ich lege das Tablet weg und schaue ein letztes Mal auf die riesigen Leuchtziffern unter der Decke. Es ist 6:23 Uhr.
Danke, dass ihr hier eure gesammelten Erfahrungen teilt – wenn ich in einer der vielen Katzenlebenslagen einen Rat suche, seid ihr für mich immer die erste Wahl! Liebe Grüße von Christina
Finden wir gut, das ihr eure Erfahrungen dazu veröffentlichen möchtet.
Es wird sicher ausführlich, so wie wir euch kennen auch viele Hintergrundinformationen beinhalten und kann anderen bestimmt eine wirkliche Hilfe/Unterstützung sein.
Den Livebericht mussten wir erst einmal sacken lassen *puuhh* Action pur.
Wir knuddeln euch alle einmal aus der Ferne, die Katerbuben senden ganz viele extra Nasenstumper an eure Mama, die sich wirklich super um Jinpa kümmert <3
LG
Marlene
mit den Katerbuben
Der Kleine hat es echt nicht leicht, aber eine tolle Familie und eine wundervolle Mama, die alles für ihn tut. Wir drücken euch ganz doll.
Schnurrer Engel und Teufel
Wow, das ist wirklich alles andere als schön, meinen Respekt das ihr da so „gut“ mit umgeht. So gut wie es mit so etwas nunmal geht.
Mit so einer tollen Katzenmama hat der kleine es aber bestimmt leichter.
Wir drücken euch die Daumen das es eines Tages besser wird.